Die Kipppunkte der Eiskörper

Im September ist Bundestagswahl. Diese Wahl wird auch als Klimawahl betitelt. Daher spielt der Klimawandel das erste Mal eine wichtige Rolle bei einer Wahl. Um die wichtigen und kritischen Punkte im Klimawandel zu verstehen, möchte ich dir heute die Kippelemente näherbringen. Anhand dieser möchte ich dir erklären, was passiert, wenn wir jetzt nicht handeln. Die Debatte um den Klimawandel bewegt die Menschen schon sehr lange. In meinem heutigen Kurzbeitrag geht es jedoch nur um einen Teil der Debatte. Es geht um die Kippelemente im Erdklimasystem und deren Kipppunkte. In der Klimaforschung wird bei diesen Kippelementen ein Kipppunkt angenommen. Bei der Überschreitung der Kipppunkte wird eine nicht-lineare Veränderung des globalen Klimas ausgelöst. Für den Begriff Kipppunkt möchte ich dir eine kleine Metapher erzählen, die diesen gut beschreibt. Schiebt man ein Glas Wasser ein Stück über den Tischrand, passiert erst nichts. Bedrohlich wird es, wenn das Glas einen kritischen Punkt erreicht, an dem es kippt und abstürzt. Unser Glas Wasser ist ein Synonym für das Klima. Nach dem nun klar ist, was unter einem Kipppunkt zu verstehen, folgt nun zunächst etwas zur Geschichte der Kippelemente und deren Kipppunkte. 

Strandpromenade bei Marbella (2019)

Das Konzept der Kippelemente ist um das Jahr 2000 entstanden und wurde von Hans Joachim Schellnhuber in die Klima-Forschungsgemeinschaft eingebracht. Im dritten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change von 2001 wurde die Möglichkeit von diskontinuierlichen, irreversiblen und extremen Ereignissen im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung erstmals in Betracht gezogen. Davor war man vorwiegend von linearen, allmählich stattfinden Veränderungen ausgegangen. Diese Annahme der linearen, allmählichen Veränderungen wurde nach dem dritten Sachstandsbericht revidiert. 

Die ersten Anzeichen, dass es dem globalen Klima nicht gut geht, kann man in den folgenden Punkten erkennen: Gletscher schmelzen, Korallenriffe bleichen aus, Bäume vertrocknen und der Golfstrom schwächelt, Tiere und Pflanzen gehen vermehrt auf Wanderschaft. Die Erderwärmung hinterlässt Spuren und die Natur gerät zusehend aus dem Gleichgewicht. Dennoch sind die Folgen derzeit für Menschen, Tiere und Pflanzen verkraftbar. Wenn die Temperaturen jedoch weiter steigen, können kritische Punkte erreicht werden. Durch Rückkopplungsprozesse besteht zudem das Risiko, dass weitere Kippunkte überschritten werden und eine dominoartige Kettenreaktion ausgelöst wird. Mit einer solchen „Kipp-Kaskade“ könnte das Erdsystem in eine neue Heißzeit katapultiert werden. 

Schauen wir uns mal an, wer diese Kippelemente identifiziert hat. Die ersten Kippelemente im Erdsystem wurden von 36 britischen und deutschen Klimaforschern diskutiert. In den nachfolgenden Jahren wurden internationale Expert:innen zu den ermittelten Kippelementen befragt. Außerdem wurde die komplette wissenschaftlich relevante Literatur zu dem Thema ausgewertet. Das Potsdam-Institut für Klimaforschung e.V. (PIK) hat alle relevante Kippelemente gesammelt und beschrieben. Der IPCC (Weltklimarat) ging 2001 noch davon aus, dass die Kipppunkte erst bei einer Erwärmung von mehr als 5 Grad kippen. Der Sonderbericht aus 2018 und 2019 kommt jedoch nach den neuesten Entwicklungen und Erkenntnissen zu dem Schluss, dass die Kipppunkte bereits bei einer Erwärmung von 1 bis 2 Grad überschritten werden können.

Schauen wir uns das PIK einmal genauer an. Das Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Die doppelte Mission des PIK’s ist, die wissenschaftlichen Grenzen der Klimaforschung auch fachübergreifend für globale Nachhaltigkeit zu erweitern und Lösungen für eine sichere und gerechte Klimazukunft anzubieten. Das PIK ist auf seinem Gebiet die führende Einrichtung und verbindet die neuesten Erkenntnisse zum Erdsystem mit der Abschätzung von Klimarisiken mit der Erforschung von Politikoptionen. Im PIK sind mehr als 350 Menschen aus aller Welt beschäftigt. Das PIK hat Kippelemente in den Eiskörpern, der Strömungssysteme und Ökosysteme ermittelt. Schauen wir uns jetzt die Kipppunkte mal im Detail an. 

Kipppunkte der Eiskörper

Heute möchte ich dir die unterschiedlichen Kipppunkte der Eiskörper erklären. In weiteren Beiträgen werde ich dir die Kipppunkte der Strömungs- und Ökosysteme erklären. Einen ausführlichen Beitrag zur atlantischen thermohalinen Zirkulation habe ich dir letztens im Kurzbeitrag „Der Golfstrom – die Lebensader von Europa“ schon erzählt. Schon während meiner Schulzeit habe ich davon gehört, dass das arktische Meereis schmilzt. Vielleicht geht es dir ähnlich. Was hat es also für Folgen, wenn dieses schmilzt? 

Seit Jahrzehnten schwindet das arktische Meereis beispiellos schnell. Dies betrifft nicht nur die Ausdehnung, sondern auch die Dicke des Eises. In den kalten Jahren baut sich eine dünne Eisschicht über eine große Fläche schnell wieder auf. Diese Eisschicht ist jedoch sehr empfindlich gegenüber den immer wärmer werdenden Sommern. Die Foscher:innen gehen davon aus, dass die Arktis im Sommer bis zum Ende des Jahrhunderts eisfrei sein wird. Neben einigen anderen Phänomenen kommt besonders die Eis-Albedo-Rückkopplung zum Tragen. Das führt dazu, dass die Erderwärmung in den hohen nördlichen Breiten etwa doppelt so schnell von Statten geht, wie im globalen Durchschnitt. Die Eis-Albedo-Rückkopplung beschreibt folgendes Ereignis: Wo das helle Eis schmilzt, kommt meist ein dunkler Untergrund zum Vorschein. Das kann das felsige Bett eines Gletschers oder das Meer sein. Die dunkle Oberfläche nimmt mehr Sonnenwärme auf und diese begünstigt den weiteren Schwund des verbleibenden Eises. Die Eis-Albedo-Rückkopplung ist ein klassisches Beispiel für einen selbstverstärkenden Prozess. 

Mittelmeer bei San Luis de Sabinillas (2019)

Neben dem arktischen Meereis verliert Grönland seinen Eispanzer. Grönland ist derzeit neben der Arktis das Land, welches viel Eis durch Schmelzen verliert. Besonders im Sommer nimmt das Abschmelzen der Gletscher zu. Das Schmelzwasser der Gletscher fließt ins Meer. Der Eispanzer von Grönland ist stellenweise drei Kilometer stark, verliert jedoch durch die warmen Sommer langfristig an Höhe. Auch hierbei gibt es einen Rückkopplungseffekt. Der Eispanzer liegt derzeit in kalten Luftschichten. Schmilzt der Eispanzer, gelangt er in wärmere Temperaturen. Das wiederum verstärkt das Abschmelzen des Eisschildes weiter. Expert:innen sagen, dass dieser Kipppunkt – also der Verlust des vollständigen Eisschildes – schon bei einer globalen Erwärmung von knapp 2 Grad Celsius erreicht werden könnte. Der Eisschild könnte bis Ende des Jahrtausends sogar vollständig kollabieren, wenn die Emissionen weiter ansteigen. Der Meeresspiegel könnte, als Folge daraus, bis zu sieben Meter ansteigen. 

Weitere Kipppunkte sind der Kollaps des westantarktischen Eisschildes und der Teilkollaps des Eisschildes in der Ostantarktis. Falls du dich an deine Schulzeit erinnerst, wurde dir im Erdkunde-Unterricht bestimmt erzählt, dass die Antarktis ein Kontinent ist und nicht wie die Arktis nur aus Packeis besteht. Der westantarktische Eisschild liegt zu großen Teilen auf dem kontinentalen Rücken unterhalb des Meeresspiegels. Je weiter man „Eisstromaufwärts“ ins Innere des Kontinents vordringt, desto tiefer liegt das Eis. Durch diese spezielle Situation kann es dazu kommen, dass der Eisschild aufgrund bestimmter Fließprozesse instabil wird. Zerfällt der westantarktische Eisschild, würde der Meeresspiegel im Laufe von Jahrhunderten über drei Meter ansteigen. Neueste Erkenntnisse geben Hinweise darauf, dass ein genau solcher Prozess heute bereits anfänglich im Gange ist. Leider konnten die Klimaexpert:innen nicht sagen, ob dieser Prozess mit oder ohne menschliches Zutun in Gang gekommen ist – was letztlich aber auch egal ist.

Kommen wir nun zum Teilkollaps in der Ostantarktis. In der Ostantarktis liegen die größten Süßwasserreserven der Welt in Eis gebunden. Zurzeit scheint der Eisschild recht stabil zu sein. Unter dem Meeresspiegel liegt auch hier ein großes Zuflussbecken. Das Zuflussbecken ist durch einen kleinen Pfropfen aus Eis verschlossen. Würde dieser verloren gehen, dann würde wie eben schon zum westantarktischen Eisschild beschrieben, selbstverstärkender Eisverlust einsetzen. Die Instabilität setzt bei einer Erderwärmung um 2 bis 3 Grad ein und Forscher:innen rechnen in diesem Fall ebenfalls mit einem potentiellen Anstieg des Meeresspiegels von ca. 3 bis 4 Metern. 

Eine andere Gefahr lauert im Boden. Die arktischen Perma- oder Dauerfrostböden in Sibireren und Nordamerika sind gefährdet. Beim Auftauen können riesigen Mengen an Kohlenstoffdioxid und Methan freigesetzt werden. Allein in den ersten 3 Metern lagern rund einhundert Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Permafrostböden können jedoch noch tiefer reichen. In Yedoma-Böden sind in den Tiefen von mehr als 3 Metern vermutlich nochmal mehrere Hunderte Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Seit der letzten Eiszeit wurde Kohlenstoff, welches aus dem organischen Material stammt, eingelagert. Mit diesem organischen Material wurden auch Mikroorganismen eingefroren. Tauen die Permafrostböden auf, fangen die Mikroorganismen an, das organische Material weiter zu zersetzen. Bei der Zersetzung wird Wärme erzeugt, die wiederum das Auftauen und die Zersetzung des Bodens beschleunigt. Bei der sogenannten Thermokarst-Bildung leitet wegbrechender Boden auch in tieferliegenden Schichten ein Tau- und Zersetzungsprozess ein. Dies gehört ebenfalls zu den selbstverstärkenden Zerstörungsprozessen und wird durch die zweieinhalbmal schnellere Erwärmung der Arktis befeuert. Leider ist dieser Prozess nicht umkehrbar, da sich die ursprüngliche Einlagerung über viele Jahrtausende hingezogen hat. 

Der letzte Punkt, über den ich mit dir sprechen möchte, ist die Methan-Ausgasung aus den Ozeanen. Wo dieses Methan gelagert ist? Methanhydrat ist in Eis eingeschlossenes Methan. Man findet es in den arktischen Meeressedimenten und es kommt besonders in Ostsibirien vor. Der dort gespeicherte organische Kohlenstoff und in welcher Menge er eingelagert ist, ist schwer abzuschätzen. Durch die Wärmezufuhr in unsere Meere bauen bereits seit Jahrtausenden die Methanhydrate ab. Durch den langsamen Vorgang gelten sie als träges Kippelement. Methan ist jedoch nicht zu unterschätzen. Auch wenn es sehr kurzlebig ist, ist es dennoch ein potentes Treibhausgas. Der größte Teil des Methans oxidiert in der Atmosphäre, jedoch geschieht dies erst innerhalb eines Jahrzehnts und dann ausgerechnet zu Kohlendioxid. Die Folge für die Atmosphäre: über einen Zeitraum von Jahrtausenden wird die Atmosphäre durch das Kohlendioxid zusätzlich erwärmt. 

Damit endet der erste Teil der Kipppunkte-Reihe. Der Klimawandel ist durch seine Aktualität und seine Dringlichkeit sehr wichtig. Da die Kipppunkte ausschlaggebend dafür sind, dass wir die Erderwärmung aufhalten können, werde ich alle in weiteren Beiträgen genauer beschreiben. 

Der Golfstrom – die Lebensader von Europa

Jeder kennt ihn, jeder liebt ihn und doch weiß kaum einer, wen ich meine. Die Rede ist vom Golfstrom. Viele haben schon mal von ihm gehört, bestimmt in der Grundschule oder in den weiterführenden Schulen. Bei mir ist es schon sehr lange her gewesen, doch jetzt im Zuge des Klimawandels kommt der Golfstrom als ein Kipppunkt wieder häufiger in den Nachrichten vor. Daher möchte ich meinen heutigen Kurzbeitrag dem Golfstrom widmen. Der Golfstrom ist eine schnell fließende Meeresströmung im Atlantik. Es gibt auf der Welt viele unterschiedliche Strömungssysteme, die alle ein globales Strömungssystem bilden. Der Golfstrom ist ein Teil der westlichen Randströmung und beeinflusst das Klima in ganz Nordeuropa. Durch den Golfstrom ist es bei uns im Schnitt fünf bis zehn Grad wärmer als ohne ihn. Er befördert etwa 30 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Klingt nach viel und das ist es auch ist. Es ist mehr als einhundertmal so viel Wasser, wie über alle Flüsse der Welt zusammen ins Meer fließen. Das ist alles sehr schwer vorstellbar, das weiß ich. Aber nehmen wir mit, dass es verdammt viel Wasser ist. Ich möchte dir im Folgenden die Funktion des Golfstroms genau erklären. 

Nordsee (Büsum 2021)

Funktion

Der Golfstrom beginnt im Atlantik, westlich des afrikanischen Kontinents. Von dort fließt er zum Golf von Mexiko und tankt hier viel Wärme auf. Dort an der Küste vereinigt sich der Golf von Mexiko mit dem Florida- und dem Bahamasstrom. Gemeinsam bilden die drei Ströme den eigentlichen Golfstrom. Entlang der Küste Nordamerikas fließt der Strom nach Norden. Bei North Carolina, biegt er nach Nordosten ab. Vor Europa spaltet sich der Golfstrom wieder in drei Stromsysteme auf. In die Sargassoss östlich Floridas fließt ein Teil, ein anderer Teil fließt nach Osten in den Kanarenstrom und der dritte fließt weiter nach Nordwesteuropa als Nordatlantischer Strom. Du siehst, es ist nicht ganz so einfach, wie es uns früher in der Schule mal erklärt wurde. Einmal tief durchatmen, bevor ich dir erkläre, wie der Nordatlantikstrom fließt. 

Auf dem Weg in die Arktis kühlt sich das Wasser des Nordatlantikstroms immer mehr ab. Durch Verdunstung wird das Wasser außerdem salzreicher. Diese beiden Eigenschaften sind wichtig, denn durch die Kälte und den hohen Salzgehalt wird das Wasser dichter und damit schwerer. Dieses Wasser sinkt in die Tiefsee hinab. Zwischen Spitzbergen und Grönland entsteht durch dieses schwere Wasser der größte Wasserfall der Erde. So fallen 17 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde bis zu 4.000 Meter in 15 Kilometer breiten Säulen (Chimneys) hinunter. Auch hier möchte ich noch einmal anführen, dass es ca. fünfzehnmal so viel Wasser ist, wie alle Flüsse der Welt führen. Doch viel wichtiger ist, was dieser abrupter Wasserabfall bewirkt. Denn bei diesem Wasserabfall entsteht eine Sogwirkung, die den Nordatlantikstrom überhaupt in die Richtung von Europa zieht. Es ist die wichtigste Funktion des nordatlantischen Stroms. Dieser Wasserabfall ist das „globale Förderband“, das die Tiefseeströmung in Bewegung hält. So spannend war es in der Schule nicht. Kommen wir jetzt zum Eingemachten.

Golfstrom heute – Ein Kipppunkt im menschengemachten Klimawandel

Man kann es nicht anders sagen, aber seit einigen Jahren haben alle Wissenschaftler:innen diese globale Wasserpumpe verstärkt im Blick. Das Problem sind die seit Jahren schmelzenden Polarkappen. Du könntest denken, dass dies ja seit Jahren geschieht und damit doch kein Problem sei. Wo genau das Problem liegt, zeige ich dir jetzt. Das Eis am Nordpol besteht aus Süßwasser. Durch das schmelzende Eis gelangt also mehr Süßwasser ins Meer und damit auch in den Nordatlantischen Strom. Wie wir eben festgestellt haben, benötigt dieser eine gewisse Schwere, um den Wasserabfall zu meistern. Gelangt nun mehr Süßwasser in den Strom, könnte dieser nicht mehr schwer genug sein. Damit würde er nicht mehr im gewohnten Umfang absinken und der Golfstrom könnte im schlimmsten Fall zum Erliegen kommen. Damit ist er, global gesehen, ein Kipppunkt. Die Auswirkungen für Europa wären, dass sich das Klima drastisch ändert und es bis zu zehn Grad kälter wird. Keine schönen Aussichten für uns. 

Doch schauen wir uns mal an, was die Expert:innen dazu sagen: Diese schlagen Alarm. Denn der Golfstrom wird aktuell wärmer und langsamer. Jahrelange Messungen von Ozeanographen des IFM-Geomar im West- und Ostatlantik zeigen, dass Temperaturschwankungen der Strömungen vorkommen. Dennoch zeigen die Beobachtungsdaten und Modellsimulationen aus den Jahren 1900 bis 2008 auch, dass sich der Golfstrom im vergangenen Jahrhundert um etwa 1,2 Grad Celsius erwärmt hat. Der Atlantik hat sich um 0,4 Grad erwärmt. Dies hat Konsequenzen. In unseren Ozeanen ist viel Kohlendioxid gespeichert und die Ozeane binden immer neues Kohlendioxid. Durch die höhere Temperatur des Ozeans fällt die Aufnahme von Kohlendioxid geringer aus. 

Ebbe in der Nordsee (Büsum 2021)

Anfang des Jahres 2021 veröffentlichten die Forscher:innen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung eine Studie zum Golfstrom. Das Fazit: der Golfstrom ist in mehr als eintausend Jahren noch nie so schwach wie in den letzten Jahrzehnten gewesen. Die Daten wurden aus den „Klima-Archiven“ wie Ozeansedimenten und Eisbohrkernen gesammelt sowie ausgewertet. Diese „Archive“ können viele hundert Jahre zurückreichen. So konnten die Wissenschaftler:innen die Fließeigenschaften des Golfstroms in den vergangenen Jahrhunderten rekonstruieren. Auch diese Veränderung hat mit dem menschengemachten Klimawandel zu tun. 

Nicht nur Europa hätte mit kälteren Temperaturen zu kämpfen, wobei man sagen könnte, dass der Klimawandel diese vielleicht ausgleichen könnten. Sondern das Erliegen der Ringströmung hätte auch Folgen für die Ostküste der USA. Welche das sind, beschreibe ich dir jetzt. Die gewaltige Ringströmung beeinflusst die Höhe des Meeresspiegels an der Ostküste der USA. Dies passiert so: ein Teil des Golfstroms fließt nach Norden und führt zu einer Ablenkung der Wassermassen nach rechts, also von der US-Küste weg. Dies wird auf die Erdrotation zurückgeführt, die Strömung werden auf der Nordhalbkugel nach rechts und auf der Südhalbkugel nach links abgelenkt. Wenn sich also die Strömung verlangsamt, schwächt sich auch dieser Effekt ab. So kann sich an der Ostküste der USA mehr Wasser ansammeln. Das würde also zu einem stärkeren Anstieg des Meeresspiegels führt. Mit der Verlangsamung des Golfstroms steht ebenfalls ein Kältefleck (cold blob) im Nordatlantik in Verbindung. Dieser Kältefleck beschreibt ungewöhnlich kaltes Wasser in einer Meeresregion im subpolaren Atlantik südlich von Grönland. 

Die Verlangsamung des Golfstroms ist also kein erstrebenswertes Ziel für uns. Wissenschaftler:innen sind sich einig, dass dieser Kipppunkt nicht überschritten werden darf. Den Kipppunkt überschreiten würde bedeuten, dass die Strömung instabil wird und das System zusammenbricht. Es gibt auf der Welt noch ein weitere Kipppunkte, die durch den Klimawandel in Gefahr sind. Welche das sind und welche Auswirkungen das Überschreiten für uns hat, werde ich dir in einem weiteren Beitrag erzählen. 

Die Waldprämie – das Märchen der nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder?

Heute mal wieder ein aktuelles Thema, beziehungsweise ein Thema, das Ende letzten Jahres aufkam. Vielleicht hast du es in den Nachrichten mitbekommen: es geht um die Waldprämie. Konkret geht es um die Richtlinie zum Erhalt und zur nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder. Diese Richtlinie wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft beschlossen. Was dahinter steckt und warum es nicht unbedingt förderlich ist, werde ich dir heute aufzeigen.  

Typischer Wald in Deutschland (Eifel 2020)

Der erste Satz in der Präambel lautet: Der Wald ist systemrelevant. Dieses Wort haben wir während der Corona-Pandemie kennen und lieben gelernt. Ich glaube jeder weiß mittlerweile, welche Jobs in der Gesellschaft systemrelevant sind. Diesen Begriff kann man genauso auch im Naturhaushalt einsetzten. Wälder sind besonders im deutschen Naturhaushalt systemrelevant. Kaum ein Landschaftsbestandteil kann das leisten, was ein gesunder Wald leisten kann. Besonders wenn man sich ansieht, was Wälder für die Biodiversität und das Klima tun. Nach der Waldprämie sollen besonders klimastabile, naturnahe Wälder und ihre nachhaltige Bewirtschaftung bezuschusst werden. In der Präambel wird der Wald als Erholungsort für die Menschen und als klimafreundlicher Lieferant für den Rohstoff Holz beschrieben, der Arbeit und Einkommen sichert. Begründet wird diese Waldprämie durch die negativen Auswirkungen auf den Holz-Absatzmärkte, die Logistikstrukturen und die Folgen der Extremwetterereignisse der letzten Jahre. Durch die Corona-Pandemie wurden diese negativen Auswirkungen verstärkt. Der Klimawandel tut durch Stürme und Dürreperioden samt Schädlingsbefall sein Übriges. Dies bedeutet, die Förster verlieren Geld. Sie können durch den Borkenkäfer in ihren Plantagen nicht mehr verkaufen und die Fichtensetzlinge gehen ein. Leidet die Forstwirtschaft, leiden natürlich auch nachfolgende Gewerke wie die nachgeschaltete Logistik. Die Waldprämie soll die privaten und kommunalen Waldeigentümer für die entstandenen Schäden teilweise entschädigen. Darüber hinaus soll die Waldprämie eine nachhaltige Forstwirtschaft über den gesetzlichen Rahmen hinausgehen und unterstützen. Die Bilder der deutschen Wälder in den Medien kennt ja jeder, vor allem die der Fichtenforste, welche vom Borkenkäfer vernichtet worden sind. Daher verstehe ich, dass du denkst, dass es eine gute Sache sei. Doch müssen wir nicht nur die Absichten betrachten, sondern auch die Voraussetzungen für die Waldprämie.  
Die erste Frage, die sich stellt, ist, wer diese Leistung bekommt. Nach der Richtlinie bekommt jede natürliche oder juristische Person des Privat- oder öffentlichen Rechts, die als Unternehmer (gemäß §136 Abs. 3 des 7. Buches des Sozialgesetzbuch) rechtmäßig eine Waldfläche (nach §2 Bundeswaldgesetzbuch) bewirtschaftet und dies in Schriftform belegt. Man könnte sagen jeder, der einen Wald besitzt mit Ausnahme von Bund und Ländern.  

Gibt es noch weitere Voraussetzungen? Jeder Waldbesitzer, der die Waldprämie in Anspruch nehmen will, muss ebenfalls ein Zertifikat nachweisen. Es gibt zwei Zertifikate, die hier greifen. Einmal das Program for the Endorsement of Forest Certification Schemes Deutschland (PEFC) und das Forest Stewardship Council Deutschland (FSC). Neben diesen beiden Zertifikaten gibt es noch die Naturland Richtlinie zur ökologischen Waldnutzung (Naturland). Eines der Zertifikate muss der Waldbesitzer vorlegen oder nach bis zu einem Jahr nachreichen. Also musst du vor der Beantragung der Waldprämie nicht einmal die Zertifizierung haben. Die Waldprämie ist – nicht, dass du es falsch verstehst – kein Darlehen. Die Höhe der Prämie wird je Hektar und Zertifikat berechnet.  

Wie hoch fällt die Waldprämie für die Waldbesitzer aus? Wälder nach PEFC-Zertifikat erhalten 100 Euro pro Hektar. Die Wälder die nach FSC- oder Naturland-Zertifikat erhalten 120 Euro pro Hektar. Kann die Auszahlung der Waldprämie verweigert werden? Eine Einschränkung gibt es: unter 100 Euro wird die Prämie nicht ausgezahlt. Naja, und die Kosten für die Antragsstellung werden ebenfalls nicht erstattet und einen Rechtsanspruch auf Bewilligung der Prämie hat man auch nicht. Klingt erstmal alles fair. Die Fragen, die sich mir jedoch stellten, waren, welche Punkte bei der Zertifizierung betrachtet werden und wie aussagekräftig diese Zertifizierung ist. Daher möchte ich einen kleinen Exkurs einbauen, um die Zertifizierung näher erklären zu können. Spannend ist, dass die Naturland-Zertifizierung nur die Einhaltung der FSC-Zertifizierung beinhaltet. Ich möchte die wichtigen Punkte für den Naturschutz einmal aufgreifen, bevor du zu einer Tabelle kommst, in der du die Zertifikate einmal gegenübergestellt siehst. Also die wichtigsten Punkte für gesunde Wälder sind: Baumartenwahl, Totholz und Biozideinsatz.  

Die Baumartenauswahl 

Die FSC/Naturland-Zertifizierung strebt eine langfristige und standortheimische Bestockung an. Fremdländische Gehölze sollen nur noch in Mischungen geduldet werden. Bei der PEFC-Zertifizierung werden Mischbestände mit standortgerechten Baumarten mit angepasster Herkunft angestrebt. Problematisch ist, dass es keinerlei Angaben dazu gibt wie diese Mischbestände sich zusammensetzten. Diese Problematik tritt auch bei der FSC/Naturland-Zertifizierung auf. Positiv bei der FSC/Naturland-Zertifizierung ist, dass die Douglasie und die Fichte als fremdländische Gehölze klassifiziert werden. Jedoch wird auch kein Verhältnis zwischen fremdländischen und heimischen Gehölzen genannt.  

Das Totholz 

Kurze Erklärung: Totholz sind abgestorbene Bäume, die entweder aufrecht im Wald stehen oder bei einem Sturm umgefallen sind. Sie sind wahre Archen im Waldgeschehen. Hier tummeln sich zahlreiche Pilze und Insekten, aber auch Vögel haben sich zur Aufgabe gemacht, ihre Bruthöhlen in diesen abgestorbenen Bäumen zu bauen. In einem späteren Artikel werde ich dir mehr dazu erklären. Das FSC/Naturland-Zertifikat stellt die Bedingung, dass es ein Totholzmanagement gibt, welches das Ziel verfolgt, in den Wäldern das Totholz zu steigern. Beim PEFC-Zertifikat wird gefordert, das Totholz und Höhlenbäume in einem angemessenen Umfang im Wald vorkommen zu lassen. Die Frage, die ich dir stellen möchte, ist: Wer kontrolliert das und wer legt fest, wie viel angemessen ist?  

Der Biozideinsatz 

Beim FSC/Naturland-Zertifikat ist der Biozideinsatz nur auf behördliche Anordnung einzusetzen. Das begiftete Holz darf anschließend erst nach sechs Monaten verkauft werden. Das PEFC-Zertifikat erlaubt die flächige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf der Grundlage einer fachkundigen Begutachtung. Die Polterbegiftung (Maßnahme gegen den Borkenkäfer) wird nicht reglementiert, da es nur eine punktuelle Anwendung darstellt. Das jedoch Biozid eingesetzt werden darf, ist fragwürdig. Das Biozid greift in den wenigsten Fällen nur punktuell, sondern flächig. Sie töten nicht nur Insekten auf den Bäumen, sondern auch Insekten im Boden. Die Voraussetzung für einen Schädlingsbefall findet man in den meisten Fällen nicht in einer Mischwaldkultur, sondern in einer Monokultur. Fraglich ist also, wieso der Einsatz von Biozid erlaubt ist, wenn es sich bei den zertifizierten Wäldern um gesunde Waldökosystem handeln soll.  

Weitere Punkte sind in der folgenden Tabelle gegenübergestellt:  

Zertifikat / KategorieFSC / NaturlandPEFC
AkkreditierungDie Akkreditierung erfolgt durch den internationalen FSC Vorstand, nach einer Zahlung einer entsprechenden GebührBedient sich einer unabhängigen Zertifizierung, durch Personen die in Bereichen der Wirtschaft einen Namen gemacht haben (z.B. TÜV Nord). Die Zertifizierungsstellen setzen eine Zulassung bei der nationalen Akkreditierungsstellen voraus.
Referenzflächeim Staats- und Kommunalwald müssen die Flächen größer als 1.000 Hektar sein und 5% der Fläche aus der Bewirtschaftung genommen werden. Diese gelten dann als Referenzfläche.Hier wird keine Stillegung von Waldflächen gefordert, es wird dabei auf einen integierten Naturschutz gesetzt. Die Ausweisung von Totalreservaten wird nicht als Aufgabe des Zertifikats gesehen.
BaumartenwahlLangfristig soll die Forstwirtschaft eine standortheimische Bestockung anstreben. Fremdländische Gehölze wie Douglasie und Fichte sollen nur noch in Mischungen geduldet werden.Bei dem Zertifikat werden Mischbestände mit standortgerechten Baumarten und angepasster Herkunft angestrebt.
TotholzAls Vorbedingung wird ein Totholzmanagement gefordert, welches das Totholz in den Wäldern steigern soll.Hier wird nur gefordert, dass Totholz und Höhlenbäume in einem angemessenen Umfang erhalten ist.
BiozideinsatzDer Biozideinsatz ist nur auf behördliche Anordnung einzusetzen. Begiftetes Holz darf erst nach 6 Monaten verkauft werden.Das Zertifikat erlaubt eine flächige Anwendung von Pflanzenschutzmittel, auf der Grundlage fachkundiger Begutachtung. Polterbegiftung wird nicht reglementiert, da es nur eine punktuelle Anwendung darstellt.
Tabelle 1: Kriterien für die Waldzertifizierung

Es gibt also durchaus Punkte, die kritisch gesehen werden müssen, nicht nur bei der Zertifizierung als auch bei der Waldprämie. Der Bundesrat bemängelte an dem Beschluss, dass qualifizierte Kriterien fehlen und die Flächenprämie keine Lenkungswirkung hat. Das PEFC-Zertifikat beschreibt die gesetzlichen Standards für Wälder. Sprich es wird gerade Geld dafür ausgeschüttet, dass Wälder den gesetzlichen Mindeststandard erfüllen. So einen Fall finden wir nicht nur bei der Forstwirtschaft, sondern ebenfalls in der Agrarpolitik. Hier werden Gelder von der EU zum Teil als Direktzahlung an die Landwirte weitergegeben. Wofür? Dafür, dass sie einfach Landwirtschaft im Rahmen der gesetzlichen Regeln betreiben. Jetzt denkt bestimmt jeder, okay, man könnte an einigen Stellen nachbessern. Doch das Bundeslandwirtschaftsministerium sieht im Falle der Waldprämie keinen Nachbesserungsbedarf. Hauptargument ist, dass die kleinen Waldbesitzer derzeit kein Geld verdienen und dadurch die Motivation verlieren, Wald zu machen. Jedoch können Waldbesitzer nicht nur die Waldprämie beantragen, sondern konnten sie zuletzt ebenfalls Digitalisierung und Technik für nachhaltige Waldbewirtschaftung beantragen. Hier sind die Auflagen wesentlich höher und somit kann nicht jeder diese Gelder abgreifen. Also halten wir fest, die Waldprämie ist einfach zu haben, die Zertifikate bilden teilweise nur den gesetzlichen Mindeststandard ab und ohne die Waldprämie können kleine Waldbesitzer keinen Wald mehr machen. Ob man Wald machen kann und was die Forstwirtschaft noch für den Wald tut, werde ich dir in einem weiteren Kurzbeitrag erzählen.