Im September ist Bundestagswahl. Diese Wahl wird auch als Klimawahl betitelt. Daher spielt der Klimawandel das erste Mal eine wichtige Rolle bei einer Wahl. Um die wichtigen und kritischen Punkte im Klimawandel zu verstehen, möchte ich dir heute die Kippelemente näherbringen. Anhand dieser möchte ich dir erklären, was passiert, wenn wir jetzt nicht handeln. Die Debatte um den Klimawandel bewegt die Menschen schon sehr lange. In meinem heutigen Kurzbeitrag geht es jedoch nur um einen Teil der Debatte. Es geht um die Kippelemente im Erdklimasystem und deren Kipppunkte. In der Klimaforschung wird bei diesen Kippelementen ein Kipppunkt angenommen. Bei der Überschreitung der Kipppunkte wird eine nicht-lineare Veränderung des globalen Klimas ausgelöst. Für den Begriff Kipppunkt möchte ich dir eine kleine Metapher erzählen, die diesen gut beschreibt. Schiebt man ein Glas Wasser ein Stück über den Tischrand, passiert erst nichts. Bedrohlich wird es, wenn das Glas einen kritischen Punkt erreicht, an dem es kippt und abstürzt. Unser Glas Wasser ist ein Synonym für das Klima. Nach dem nun klar ist, was unter einem Kipppunkt zu verstehen, folgt nun zunächst etwas zur Geschichte der Kippelemente und deren Kipppunkte.

Das Konzept der Kippelemente ist um das Jahr 2000 entstanden und wurde von Hans Joachim Schellnhuber in die Klima-Forschungsgemeinschaft eingebracht. Im dritten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change von 2001 wurde die Möglichkeit von diskontinuierlichen, irreversiblen und extremen Ereignissen im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung erstmals in Betracht gezogen. Davor war man vorwiegend von linearen, allmählich stattfinden Veränderungen ausgegangen. Diese Annahme der linearen, allmählichen Veränderungen wurde nach dem dritten Sachstandsbericht revidiert.
Die ersten Anzeichen, dass es dem globalen Klima nicht gut geht, kann man in den folgenden Punkten erkennen: Gletscher schmelzen, Korallenriffe bleichen aus, Bäume vertrocknen und der Golfstrom schwächelt, Tiere und Pflanzen gehen vermehrt auf Wanderschaft. Die Erderwärmung hinterlässt Spuren und die Natur gerät zusehend aus dem Gleichgewicht. Dennoch sind die Folgen derzeit für Menschen, Tiere und Pflanzen verkraftbar. Wenn die Temperaturen jedoch weiter steigen, können kritische Punkte erreicht werden. Durch Rückkopplungsprozesse besteht zudem das Risiko, dass weitere Kippunkte überschritten werden und eine dominoartige Kettenreaktion ausgelöst wird. Mit einer solchen „Kipp-Kaskade“ könnte das Erdsystem in eine neue Heißzeit katapultiert werden.
Schauen wir uns mal an, wer diese Kippelemente identifiziert hat. Die ersten Kippelemente im Erdsystem wurden von 36 britischen und deutschen Klimaforschern diskutiert. In den nachfolgenden Jahren wurden internationale Expert:innen zu den ermittelten Kippelementen befragt. Außerdem wurde die komplette wissenschaftlich relevante Literatur zu dem Thema ausgewertet. Das Potsdam-Institut für Klimaforschung e.V. (PIK) hat alle relevante Kippelemente gesammelt und beschrieben. Der IPCC (Weltklimarat) ging 2001 noch davon aus, dass die Kipppunkte erst bei einer Erwärmung von mehr als 5 Grad kippen. Der Sonderbericht aus 2018 und 2019 kommt jedoch nach den neuesten Entwicklungen und Erkenntnissen zu dem Schluss, dass die Kipppunkte bereits bei einer Erwärmung von 1 bis 2 Grad überschritten werden können.
Schauen wir uns das PIK einmal genauer an. Das Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Die doppelte Mission des PIK’s ist, die wissenschaftlichen Grenzen der Klimaforschung auch fachübergreifend für globale Nachhaltigkeit zu erweitern und Lösungen für eine sichere und gerechte Klimazukunft anzubieten. Das PIK ist auf seinem Gebiet die führende Einrichtung und verbindet die neuesten Erkenntnisse zum Erdsystem mit der Abschätzung von Klimarisiken mit der Erforschung von Politikoptionen. Im PIK sind mehr als 350 Menschen aus aller Welt beschäftigt. Das PIK hat Kippelemente in den Eiskörpern, der Strömungssysteme und Ökosysteme ermittelt. Schauen wir uns jetzt die Kipppunkte mal im Detail an.
Kipppunkte der Eiskörper
Heute möchte ich dir die unterschiedlichen Kipppunkte der Eiskörper erklären. In weiteren Beiträgen werde ich dir die Kipppunkte der Strömungs- und Ökosysteme erklären. Einen ausführlichen Beitrag zur atlantischen thermohalinen Zirkulation habe ich dir letztens im Kurzbeitrag „Der Golfstrom – die Lebensader von Europa“ schon erzählt. Schon während meiner Schulzeit habe ich davon gehört, dass das arktische Meereis schmilzt. Vielleicht geht es dir ähnlich. Was hat es also für Folgen, wenn dieses schmilzt?
Seit Jahrzehnten schwindet das arktische Meereis beispiellos schnell. Dies betrifft nicht nur die Ausdehnung, sondern auch die Dicke des Eises. In den kalten Jahren baut sich eine dünne Eisschicht über eine große Fläche schnell wieder auf. Diese Eisschicht ist jedoch sehr empfindlich gegenüber den immer wärmer werdenden Sommern. Die Foscher:innen gehen davon aus, dass die Arktis im Sommer bis zum Ende des Jahrhunderts eisfrei sein wird. Neben einigen anderen Phänomenen kommt besonders die Eis-Albedo-Rückkopplung zum Tragen. Das führt dazu, dass die Erderwärmung in den hohen nördlichen Breiten etwa doppelt so schnell von Statten geht, wie im globalen Durchschnitt. Die Eis-Albedo-Rückkopplung beschreibt folgendes Ereignis: Wo das helle Eis schmilzt, kommt meist ein dunkler Untergrund zum Vorschein. Das kann das felsige Bett eines Gletschers oder das Meer sein. Die dunkle Oberfläche nimmt mehr Sonnenwärme auf und diese begünstigt den weiteren Schwund des verbleibenden Eises. Die Eis-Albedo-Rückkopplung ist ein klassisches Beispiel für einen selbstverstärkenden Prozess.

Neben dem arktischen Meereis verliert Grönland seinen Eispanzer. Grönland ist derzeit neben der Arktis das Land, welches viel Eis durch Schmelzen verliert. Besonders im Sommer nimmt das Abschmelzen der Gletscher zu. Das Schmelzwasser der Gletscher fließt ins Meer. Der Eispanzer von Grönland ist stellenweise drei Kilometer stark, verliert jedoch durch die warmen Sommer langfristig an Höhe. Auch hierbei gibt es einen Rückkopplungseffekt. Der Eispanzer liegt derzeit in kalten Luftschichten. Schmilzt der Eispanzer, gelangt er in wärmere Temperaturen. Das wiederum verstärkt das Abschmelzen des Eisschildes weiter. Expert:innen sagen, dass dieser Kipppunkt – also der Verlust des vollständigen Eisschildes – schon bei einer globalen Erwärmung von knapp 2 Grad Celsius erreicht werden könnte. Der Eisschild könnte bis Ende des Jahrtausends sogar vollständig kollabieren, wenn die Emissionen weiter ansteigen. Der Meeresspiegel könnte, als Folge daraus, bis zu sieben Meter ansteigen.
Weitere Kipppunkte sind der Kollaps des westantarktischen Eisschildes und der Teilkollaps des Eisschildes in der Ostantarktis. Falls du dich an deine Schulzeit erinnerst, wurde dir im Erdkunde-Unterricht bestimmt erzählt, dass die Antarktis ein Kontinent ist und nicht wie die Arktis nur aus Packeis besteht. Der westantarktische Eisschild liegt zu großen Teilen auf dem kontinentalen Rücken unterhalb des Meeresspiegels. Je weiter man „Eisstromaufwärts“ ins Innere des Kontinents vordringt, desto tiefer liegt das Eis. Durch diese spezielle Situation kann es dazu kommen, dass der Eisschild aufgrund bestimmter Fließprozesse instabil wird. Zerfällt der westantarktische Eisschild, würde der Meeresspiegel im Laufe von Jahrhunderten über drei Meter ansteigen. Neueste Erkenntnisse geben Hinweise darauf, dass ein genau solcher Prozess heute bereits anfänglich im Gange ist. Leider konnten die Klimaexpert:innen nicht sagen, ob dieser Prozess mit oder ohne menschliches Zutun in Gang gekommen ist – was letztlich aber auch egal ist.
Kommen wir nun zum Teilkollaps in der Ostantarktis. In der Ostantarktis liegen die größten Süßwasserreserven der Welt in Eis gebunden. Zurzeit scheint der Eisschild recht stabil zu sein. Unter dem Meeresspiegel liegt auch hier ein großes Zuflussbecken. Das Zuflussbecken ist durch einen kleinen Pfropfen aus Eis verschlossen. Würde dieser verloren gehen, dann würde wie eben schon zum westantarktischen Eisschild beschrieben, selbstverstärkender Eisverlust einsetzen. Die Instabilität setzt bei einer Erderwärmung um 2 bis 3 Grad ein und Forscher:innen rechnen in diesem Fall ebenfalls mit einem potentiellen Anstieg des Meeresspiegels von ca. 3 bis 4 Metern.
Eine andere Gefahr lauert im Boden. Die arktischen Perma- oder Dauerfrostböden in Sibireren und Nordamerika sind gefährdet. Beim Auftauen können riesigen Mengen an Kohlenstoffdioxid und Methan freigesetzt werden. Allein in den ersten 3 Metern lagern rund einhundert Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Permafrostböden können jedoch noch tiefer reichen. In Yedoma-Böden sind in den Tiefen von mehr als 3 Metern vermutlich nochmal mehrere Hunderte Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Seit der letzten Eiszeit wurde Kohlenstoff, welches aus dem organischen Material stammt, eingelagert. Mit diesem organischen Material wurden auch Mikroorganismen eingefroren. Tauen die Permafrostböden auf, fangen die Mikroorganismen an, das organische Material weiter zu zersetzen. Bei der Zersetzung wird Wärme erzeugt, die wiederum das Auftauen und die Zersetzung des Bodens beschleunigt. Bei der sogenannten Thermokarst-Bildung leitet wegbrechender Boden auch in tieferliegenden Schichten ein Tau- und Zersetzungsprozess ein. Dies gehört ebenfalls zu den selbstverstärkenden Zerstörungsprozessen und wird durch die zweieinhalbmal schnellere Erwärmung der Arktis befeuert. Leider ist dieser Prozess nicht umkehrbar, da sich die ursprüngliche Einlagerung über viele Jahrtausende hingezogen hat.
Der letzte Punkt, über den ich mit dir sprechen möchte, ist die Methan-Ausgasung aus den Ozeanen. Wo dieses Methan gelagert ist? Methanhydrat ist in Eis eingeschlossenes Methan. Man findet es in den arktischen Meeressedimenten und es kommt besonders in Ostsibirien vor. Der dort gespeicherte organische Kohlenstoff und in welcher Menge er eingelagert ist, ist schwer abzuschätzen. Durch die Wärmezufuhr in unsere Meere bauen bereits seit Jahrtausenden die Methanhydrate ab. Durch den langsamen Vorgang gelten sie als träges Kippelement. Methan ist jedoch nicht zu unterschätzen. Auch wenn es sehr kurzlebig ist, ist es dennoch ein potentes Treibhausgas. Der größte Teil des Methans oxidiert in der Atmosphäre, jedoch geschieht dies erst innerhalb eines Jahrzehnts und dann ausgerechnet zu Kohlendioxid. Die Folge für die Atmosphäre: über einen Zeitraum von Jahrtausenden wird die Atmosphäre durch das Kohlendioxid zusätzlich erwärmt.
Damit endet der erste Teil der Kipppunkte-Reihe. Der Klimawandel ist durch seine Aktualität und seine Dringlichkeit sehr wichtig. Da die Kipppunkte ausschlaggebend dafür sind, dass wir die Erderwärmung aufhalten können, werde ich alle in weiteren Beiträgen genauer beschreiben.